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Interviews

Ariadne hat einen Narren daran gefressen, ihre Figuren zu interviewen. Im Grunde ist das ihre allerliebste Lieblingsmethode, um einem Text auf die Sprünge zu helfen. Dem Minotaurus zum Beispiel hat sie Löcher in den Bauch gefragt und weil er in der Mitte des Labyrinths sitzt, kann er nicht weg und muss antworten.

So ist das mit jeder Figur, ob berühmt oder nicht. Jede ernsthaft gezeichnete Figur sitzt meistens früher, manchmal später in der Mitte des Labyrinths. Die Figur will leben, deshalb stellt sie sich den Fragen. Die Figur will gesehen werden, will Aufmerksamkeit, will sich manchmal auch herauswinden und trumpft mit Falschaussagen auf, und nicht immer kapiert Ariadne gleich, wo der Hase hinläuft. Manchmal früher, meistens später kapiert sie es aber doch, rückt der Figur mit ihren Fragen noch ein bisschen mehr auf den Leib, und dann gestehen sie. Alle. Immer. Du musst nur dranbleiben, sagt sie. Und das meiste von dem, was die Figuren da erzählen, kannst du in deiner Geschichte überhaupt nicht verwenden, aber das ist egal. Du hauchst ihnen Leben ein, du verstehst sie besser und besser, und das merkt dann später auch der Leser.

Und was heißt das nun konkret? Ganz einfach, sagt Ariadne. Du setzt dich an deinen Computer oder vor ein weißes Blatt Papier oder an dein Tablet, was immer du willst. Du kannst dir auch ein Aufnahmegerät schnappen, wenn dir das spontane Sprechen liegt. Such dir einen Platz im Park oder geh einfach an deinen Schreibtisch. Schreib deine erste Frage nieder (Ariadne macht es immer schriftlich), benutz die Umschalt-Taste, um in die nächste und noch leere Zeile zu kommen. Wenn du willst, tippst du vornean den Namen deiner Figur in diese Zeile (Ariadne macht es immer an ihrem Laptop), und dann wartest du auf das, was die Figur dir antworten mag. Tipp es einfach ein, das hier soll nicht veröffentlicht werden, Stil und Rechtschreibung und was nicht alles sind also schnuppe. Je unzensierter, desto spannender, das sei jedenfalls ihre Erfahrung, sagt Ariadne und grinst bedeutungsvoll. Wenn es dir reicht, stellst du die nächste Frage, vielleicht ergibt sie sich aus der Antwort, vielleicht machst du ein neues Thema auf. Und das treibst du so lange, bis dir nichts mehr einfällt oder dein Protagonist sprachlos ist. Vielleicht hast du hinterher etwas Wesentliches verstanden, vielleicht erreichst du, dass die Figur dir näher ist. Und vielleicht verschaffst du dir unter anderem eine ausnehmend vergnügliche Stunde, spielst, lässt den Ernst eine Weile los, und nicht zuletzt das kann deinem Schreiben wirklich guttun.

Was sie fragt? Manchmal beziehen sich ihre Fragen direkt auf den Text. Manchmal fragt sie Belanglosigkeiten ab. Sachen wie: Welche Musik hörst du gerne und warum? Sagst du Stulle, Brot oder Schnitte oder wie? Bist du unordentlich und wenn ja, in welchen Bereichen hältst du mit Leichtigkeit Ordnung? Lässt du dir nach dem Einkauf den Kassenzettel geben? Was machst du dann damit? Hast du einen wiederkehrenden Albtraum? Umarmst du Menschen gerne zur Begrüßung oder ist dir das unangenehm oder küsst du sie sogar auf die Wangen?

Du wirst staunen, sagt Ariadne. Staunen, staunen, staunen …