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Das Elefantenschaf

Das Elefantenschaf hat einen Nachbarn, und zwar den träumenden Hund, aber um den soll es hier nicht gehen. Auch um den zweiten Nachbarn soll es nicht gehen, das ist der Fuß des Elefanten, auch Elefantenfuß gerufen, der steht den lieben langen Tag herum auf seinem einzigen Fuß. Um das Schaf soll es gehen, wie es durch die Räume fliegt den lieben langen Tag und dabei seinen Rüssel in alle unmöglichen Winkel steckt.

Das Elefantenschaf mag seine Nachbarn, und wenn es gerade nicht fliegt, steht es gemeinschaftlich mit dem Fuß herum, um zur Abwechslung die Aussicht auf blühende Haselnussbäume zu genießen, träumt es mit dem Hund herum und zwar immer nur vom Kuscheln mit der Riesenraupe. Davon nämlich träumt der Hund. Aber das sind die seltenen Pausen, die das Elefantenschaf sich gönnt, normalerweise fliegt es rüsselnd umher und ignoriert all die anderen Nachbarn, weil die das Schaf wegen ihrer Vielzahl nur überfordern würden. Fuß, Hund und geträumte Riesenraupe genügen vollkommen.

Manchmal träumt es selbst, das Elefantenschaf, sogar fliegend kann es träumen. Wovon es träumt, will es meistens nicht verraten, und wenn es das doch einmal tut, wird es überall rot, nicht nur im Gesicht. Es druckst herum, den lieben Tag lang. Kommt immer wieder angeflogen, räuspert sich, die Nase färbt sich schon rosa. Zieht wieder ab, schüttelt sich mächtig, um die Idee, vom Traum zu erzählen, schnellstens wieder loszuwerden. Es ist kompliziert, sich zu konzentrieren, wenn das Elefantenschaf so einen gedachten Berg hinauffliegt, so einem Vorhaben entgegenschwebt, immer und immer wieder stammelt, man überhaupt nichts versteht, es eine rosa Nase bekommt und einmal schon schluchzt, weil es das einfach nicht wagt und doch so gerne möchte, nur um im nächsten Moment abzuziehen und einen Winkel auszukundschaften, den es gerade gestern schon aufs Intimste untersucht hat. So ist das nämlich mit dem Elefantenschaf. Alles wird intim, die Winkel, die Vorhaben, die Träume und jeder Rüsselschlag, es ist nicht verwunderlich, dass das Schaf rot wird.

Neulich haben sie eine Sitzung abgehalten, der Fuß und der Hund, sogar die Riesenraupe mischte sich ein, obwohl sie ein Traum ist und sich eigentlich gar nicht einmischen kann. Eine Coachingsitzung war es, das Schaf saß in ihrer Mitte und gemeinschaftlich versuchten sie, es davon zu überzeugen, dass Rotwerden und auch Intimitäten mitnichten schlimm sind. Standfestigkeit und Basis in der eigenen Mitte, dazu Üppigkeit in den oberen Bereichen, also Herz und Hirn, bis hin zum wilden Wuchern, davon sprach der Fuß, und das Schaf nickte treuherzig. Eintauchen in die Träume, ja, selbst zum Traum werden, und am besten den lieben Tag bespielen, das verkündeten die Worte des Hundes. Das Schaf schaute aufmerksam, beinahe schon weise. Die Raupe indessen kam mit der Idee, dass das gesamte Leben sowieso ein Traum ist, ob Tag oder Nacht, egal, Langsamkeit könne außerdem nicht schaden und ab und zu kuscheln vielleicht. Das Schaf seufzte, rollte den Rüssel ein und zog sich zum Nachdenken in einen größeren Winkel zurück, nicht ohne sich bei den Nachbarn zu bedanken natürlich.

Seit dieser Sitzung unternimmt das Schaf ständig neue Versuche, von seinen Träumen zu erzählen. So auch heute. Rosa Nase, Stammeln und Stottern, ein Aufschluchzen. Wirklich schwierig mit der Konzentration. Und dann kommt es angeschossen, aus irgendeinem versteckten Winkel taucht es auf und landet schmetternd auf dem Schreibtisch. Jetzt!, schreit es, jetzt oder nie! Das ganze Elefantenschaf zittert am Leibe und der Schreibtisch zittert mit, die Nase wird dunkler, die Wangen werden allmählich violett. Von dir!, brüllt es weiter, von dir habe ich geträumt!

Erleichtert sackt es auf dem Schreibtisch zusammen, nun von Rüsselspitze bis großer Zehe einheitlich knallrot eingefärbt. Geschafft, murmelt es.

Ich trockne die schweißnasse Stirn des Schafes mit meiner Handfläche und stupse es sachte am linken, kaum sichtbaren Ohr an. Das Elefantenschaf hat winzige Ohren, man sieht sie im Grunde gar nicht, aber wir kennen uns lange genug, ich weiß also Bescheid.

Willst du mir den Rest erzählen?, frage ich leise und als ich sehe, wie der Schafberg erneut von einem Zittern ergriffen wird, nehme ich mir augenblicklich vor, beim Fuß, beim Hund und von mir aus sogar bei der Riesenraupe in die Lehre zu gehen und das mit dem Coaching mal ein bisschen zu üben. Mit dem Schaf muss man vorsichtig umgehen, es wird Zeit, dass ich mir das hinter meine großen Ohren schreibe.

Natürlich wird mir das Schaf keinen Rest erzählen. Es wird sich aufrappeln, aber erst, wenn man wieder ahnen kann, dass es eigentlich von einheitlich weißer Farbe ist. Es wird den Rüssel in die Weite strecken und schnüffeln, als könne es nur von Luft leben, um dann bald abzuheben, auf der Suche nach einem unmöglichen Winkel. Heute wird es mich nicht mehr von der Konzentration abhalten, für heute hat es genug Geständnisse gegeben. Kann durchaus sein, dass es diese Nacht mit Karacho auf meinem Kopfkissen landet, um mir in den Nacken, statt in die Ohren zu tröten. Meine Ohren sind zwar groß, aber auch empfindlich, das Schaf weiß das und nimmt auf diesen Umstand Rücksicht. Immer nur von dir, wird es tröten, und das weißt du ganz genau. Ich träum das vorweg, was du dann tagsüber tust, der Hund und die Raupe machen das auch, nur der Fuß führt teilweise ein Eigenleben. Und das weißt du ganz genau. Und wenn du mit deinem Querkopf und diesen Ohren mal bitteschön nicht gegen das lebst, was wir so träumen, dann hast du es leichter, versprochen, und sogar das weißt du eigentlich ganz genau.

Ein bisschen peinlich ist mir das schon, von einem Elefantenschaf, einem Fuß, einem träumenden Hund und einer Riesenraupe geträumt zu werden. Ein bisschen, aber zum Glück fallen diese Wahrheiten fast immer in die nächtlichen Stunden, da es so dunkel ist, dass niemand von der leichten Röte auf den Ohren etwas ahnen kann, nicht einmal das Schaf, egal, wie dicht es sich ankuschelt.

 

Text: Claudia Grundschok